Fährtenbuch

Schlagen Sie unser Fährtenbuch auf, erfahren Sie mehr von der Schweißarbeit mit den roten Hunden und von ganz besonderen Erlebnissen auf der Wundfährte... 


Kapitel 1:

Die Nachsuche auf den „Kapitalen“ aus dem Werdauer Wald

Es war am 08.09.2013 und die heurige Hirschbrunft begann allmählich. Gegen 10.30 Uhr schrillte mein Handy.  Der Revierförster eines Forstrevieres im Werdauer Wald war am Apparat. „Hast du Zeit?“ fragt er. Und fügt hinzu, „Wir haben ein Problem“. Er erzählt, dass in der Früh ein stärkerer Hirsch von einem ortsansässigen Jäger auf dem Rückwechsel in seinen Einstand beschossen wurde. Der Hirsch quittierte die Kugel und zog nach links über die Schneise von Tannen. Schussdistanz gut 150 Meter, allerdings bei bestem Licht früh um sieben. „Der Schütze schießt gut und zuverlässig“ fügte der Förster noch hinzu. Man habe mit dem Hund eines Reviernachbarn bereits nachgesucht, nachdem der Hirsch am Anschuss nicht gefunden werden konnte. Allerdings ohne Erfolg. Der Hund zeigte keinen eindeutigen Anschuss und keine Fluchtfährte. „Wir sind mit dem Latein am Ende, der Hirsch kann doch nicht einfach weg sein.“

Während ich meine sieben Sachen zusammensuchte, saß mein Hannoverscher Schweißhund „Ayk v. Gamsfleck“  schon im Auto. Er hatte anhand meines Verhaltens und emsigen Treibens  bereits mitbekommen, das es Arbeit für uns gibt. Mein Jagdterrier Eddi v. Plohnbach war mit meinem Vater, ebenfalls Jäger, bereits in meinem  Heimatrevier unterwegs. Das ist gut so denke ich. Er hätte mit gewollt, aber  Rotwild arbeite ich eh meistens ohne Loshund.

Nach einer knappen  Stunde Fahrzeit sind wir im Revier angekommen. Wir treffen auf einen aufgeregten und enttäuschten Schützen und einen frustrierten Revierförster. Ein Jagdfreund des Schützen ist ebenfalls mit vor Ort und die Stimmung der 3 Weidmänner ist auf dem Tiefpunkt.
„Kein Anschuss, kein Schnitthaar, kein Schweiß“, erzählt man mir. Ich lege „Ayk“ sein Suchengeschirr und die GPS Halsung an, während mir der Schütze berichtet, was geschehen war. Der Jäger kannte den Hirsch, er hatte Ihn mehrere Jahre im Revier. Erst vor ein paar Tagen hat er ihn an gleicher Stelle früh fotografiert, als er in seinen Einstand zog.




Der Hirsch wenige Tage vor der Erlegung auf dem Rückwechsel in seinen Einstand, fotografiert 
vom späteren Erleger Carol Scholz


Heute sollte alles passen, das Wetter, die Sicht, die Schussdistanz und die Armauflage in der Kanzel. Alles optimal. „Der Hirsch stand  fast breit als ich die 30.06 fliegen ließ“. Dann ging er nach links ab.
Der Schütze zeigte mir den vermuteten Anschuss auf einer frisch gemulchten, ausgetrockneten Schussgasse. Augenscheinlich war erst mal nichts zu sehen. Ich ließ Ayk gerade auf den vermuteten Anschuss hin vorsuchen, und tatsächlich bewindete er die Stelle intensiv. Dann arbeitet  der Rüde weiter, wendete nach einigen Metern abrupt und untersuchte den vom Schützen bereits gezeigten und vermuteten  Platz erneut.

Der Jäger meinte man habe wahrscheinlich bei der vorangegangenen Suche den Anschuss zertrampelt, da man eben nichts fand.  Ich sah eine gewisse Ratlosigkeit in seinen Blicken.

Ayk ließ sich Zeit, bevor er eine für uns auf den trockenen Ästen unsichtbare Fährte anfiel. Nach einigen Metern hatten wir einen Eingriff im trocknen Gras, welchen der Rüde deutlich verwies. Eine wirklich starke Hirschfährte mit auffälliger Spreizung der rechten Vorderschalen. Wir arbeiten uns langsam vorwärts durch Fichtennaturverjüngung, Waldreitgras und Brombeeren. Der Schütze folgt uns mit einigem Abstand.  An einem Brombeerstrauch verweist Ayk wieder. Die Fährte ist für mich schlecht bis gar nicht kontrollierbar, ich sehe eigentlich nichts mehr in der hohen Vegetation, muss dem Hund blind vertrauen.



Ein reifer Ausnahmehirsch kam nach erfolgreicher Nachsuche im Werdauer Wald zur Strecke


Wir queren eine weitere Schneise. Ayk zieht links an um der Schneise ein paar Meter weit zu folgen, dann biegt er rechts hinter einem aufgestellten Wurzelteller ab.
Der Hund verweist etwas auf einem dürren Ast. Als ich mich hinunter beuge, sehe ich einen winzigen Tropfen Wildbretschweiß auf dem ausgebleichten Holz! Endlich! Die erste eindeutige Bestätigung dass der  Hirsch die Kugel hat! „So ist recht“ lobe ich erleichtert meinen treuen Hirschmann!

Der Hund liegt jetzt heftiger im Riemen, er will vorwärts und arbeitet zügig durch den dichten Fichtennaturverjüngungsbestand. Ich folge auf halben Riemen. In diesem  Moment prasselt es in einer Fichtenkuschel etwa 20 Meter vor uns und ein Hirsch erhebt sich und sucht sein Heil in der Flucht. Ich stehe wie angewurzelt! Das Bild wie die mächtigen pechschwarzen Becherkronen vor uns aus den jungen Fichten schnellten, werde ich nie vergessen. „Oh mein Gott, was für ein Recke“ schießt es durch meinen Kopf! Einen solchen Hirsch kannte ich nur von Bildern aus der „Romintener Heide“ oder in der Neuzeit aus Ungarn, und nun ist solch ein Kapitalhirsch flüchtig vor uns!



Immense Auslage, große Umfänge und beidseitige Becherkronenbildung eines ausgewöhnlichen Rothirsches

Ich greife zum Geschirr und der bereits in den Riemen prellende Rüde ist geschnallt. Mit kräftigem Laut und hohem Tempo folgt der Schweißhund dem Hirsch in eine moorige Senke. Dann dringt aus der Ferne der ersehnte, unerbittlich dumpf hallende Standlaut an mein Ohr.

Unser Begleiter ist zurückgeblieben und hat sich hinter einem Wurzelteller verschanzt.  Der Blick auf das GPS Gerät zeigt das Ayk  etwa 350 Meter vor mir Stellt. Langsam pirsche ich die Bail gegen den Wind an. Noch 50 Meter. Vorsichtig passiere ich die letzte Fichtenkuschel vor einer kleinen Blöße.  Dann sehe ich ein Bild, wie es an Schönheit, schierer Kraft und Eleganz kaum zu überbieten ist.  Mein roter Hund tänzelt lauthals um den abwehrenden Platzhirsch. Dieser senkte sein mächtiges Geweih und versucht den Hund damit auf Distanz zu halten. Ayk  ist aber längst an den Hinterläufen und zwingt den Hirsch in eine Drehung. Innerlich zweifle ich immer noch an der Echtheit dessen, was ich hier gerade erleben darf.



Hirschmann „Ayk v. Gamsfleck“ unmittelbar nach der Hetze am erlösten Hirsch

Aber schon hat der Hirsch mich in meiner leuchtorangen Jacke erblickt und nimmt mich an.  Dabei sehe ich, dass er den linken Vorderlauf schont. Ich scheine jetzt die größere Gefahr für Ihn zu sein und entscheide mich, hinter die Fichtenkuschel auszuweichen. Ayk setzt nach und hat den Hirsch wieder fest. Er steht breit und mein Hund stellt mit etwa 2 Meter Abstand.

Die Chance zum Fangschuss. Ich streiche an einer Fichte an und lass das Leuchtkorn über den Wildkörper direkt aufs Blatt wandern. Der Schuss bricht. Ein kurzes Zucken durchfährt den “Kapitalen“, dann prescht er mit unglaublicher Kraft vorwärts und knickt dabei Fichten und junge Birken wie Grashalme um.



Glückliches Ende durch blindes Vertrauen und enges Zusammenspiel  von Hund und Mensch

Seine letzte Flucht wird vom heißeren Laut meines hetzenden  Rüden untermalt. Der „Kapitale“ wird langsamer, seine Kräfte schwinden.  Ayk hat Ihn bereits eingeholt und fast an der linken Keule zu. Der Hirsch taumelt und der Rüde lässt sich ein paar Meter mitschleifen. Dann knickt der Hirsch hinten ein,  tut sich nieder und wird von  meinem Hund verbellt. Langsam neigt sich sein Haupt zu Seite und lehnt sich dabei an einer Fichte an. Der Fangschuss sitzt direkt auf dem Blatt und hat die Lungenflügel durchschlagen. Blasiger Schweiß pumpt aus der Wunde. Das Leben verlässt den mächtigen Körper, während ich mich erschöpft mit wild klopfendem Herz neben den Recken setze.

Ayk bewindet erst ausgiebig unsere Beute, bevor er sich dicht an den Hirsch legt und erst die Decke und dann die langen gebogenen  Augsprossen des Geweihes beleckt. Die Zeit scheint still zu stehen und wir genießen zusammen den Moment wie der  Ausnahmehirsch hinüber in  die ewigen Jagdgründe wechselt. Mir zittern die Knie vor Ehrfurcht und innerer Spannung.



Ein unvergesslicher Moment für den Nachsuchenführer...

Durch die Rufe unserer Begleiter bin ich schlagartig wieder hellwach. Ich gehe Ihnen entgegen und führe den glücklichen Schützen zu seinem Lebenshirsch, welchen mein Hirschmann bewacht. Wir fallen uns in die Arme und die ganze Anspannung ist plötzlich verflogen.

Der reife Erntehirsch brachte ein Gewicht von 180kg (aufgebrochen ohne Haupt) auf die Wage und hat ein frisches  Trophäengewicht von knapp 11kg. Gigantisch sind die riesigen Becherkronen, welche den „Kapitalen“  zu Lebzeiten unverwechselbar machten und an die Romintener Rothirsche erinnern.




HS Ayk lässt kein Auge von unserer Beute


Zur diesjährigen Jagdmesse in Leipzig /Markleeberg wurde die Trophäe mit einer Goldmedaille bewertet. Kurios dabei war,  das sich das Geweih infolge der extremen Becherkronenbildung recht kompliziert vermessen lies und man sich über die Endenzahl  der Kronen uneins war.



Emotionen: Stolzer Hund und gerührter Schweißhundeführer

Viel wichtiger für mich ist, dass der „Kapitale“ etwas sehr Schönes bewirkt hat. Er hat gleichgesinnte Jäger und Hundeführer zusammengebracht. Mit dem Schützen, dem Förster und seinen Jägern verbindet mich heute ein sehr freundschaftliches Verhältnis und ich bin froh, solche aufrichtigen Menschen und  Weidmänner kennengelernt zu haben! Der Schütze überließ mir sogar die Trophäe des Ausnahmehirsches zum Anfertigen eines Abdruckes durch einen versierten Tierpräperator.



Erleger Carol Scholz, Hirschmann „Ayk v. Gamsfleck“ und Schweißhundeführer Dirk Schönfelder

Das Präparat des Hirsches wird mich mein Leben lang an diese unvergessliche Nachsuche, an gefundene Freunde und an meinen fährtentreuen, ausdauernden und hetzfreudigen „Hirschmann“ Ayk v. Gamsfleck, Z.B. HS Verein Hirschmann 2892 erinnern.




Muldenhammer, im Januar 2014     

(alle Fotos mit Genehmigung von Carol Scholz, Werdau)




Dirk Schönfelder


Nachsuchenstation Vogtland






Kapitel 2:

 "Schwein gehabt- eine Nachsuchen auf Leben und Tod"
erschienen im Jagdmagazin "PIRSCH", Ausgabe 04/2014


Sonntag, zehnter Februar 2013, 7.30 Uhr, das Handy vibriert auf dem Küchentisch. Ich stecke schon mitten in den Urlaubsvorbereitungen. Morgen soll es mit der Familie in die Winterferien gehen. Eine SMS mit dem Wortlaut „Bitte Rückruf wegen Nachsuche“ erscheint auf dem Display und durchkreuzt meine angedachte Tagesplanung.
Der Rückruf ergibt,  dass eine Sau in der Nacht in einem Pachtrevier bei Rodewisch beschossen wurde. Die Sau, ein Frischling von etwa 30kg lag im Knall, rappelte sich dann aber auf, schob sich erst vorwärts um dann immer schneller werdend mit der Rotte von der Bildfläche zu verschwinden. Ein Nachschuss war in der Nacht unmöglich.
Der Schütze untersuchte in der Nacht den Anschuss, fand dort hellroten Schweiß und folgte der Fährte etwa 50 Meter durch ein Baumholz, wo sich die Fährte verlor. Dort brach er ab.
Der Jäger kann mir den Anschuss frühestens nach dem Mittag zeigen, weil er mit seinen Kindern zu einem Wettkampf gefahren ist. Er klingt ziemlich angeschlagen, die kalten Sauennächte fordern ihren Tribut.
Der späte Termin  gibt mir noch etwas Zeit und ich fahre mit meinen beiden Hunden ins heimische Revier. Mein Hannoverscher Schweißhund „Ayk v. Gamsfleck“ und mein Jagdterrier „Eddi vom Plohnbach“ lieben die gemeinschaftlichen Kontrollgänge zur Kirrung. Danach packe ich die Blaser Nachsuchenbüchse in meinen Nissan Pickup. Der Rest der Ausrüstung ist ohnehin immer einsatzbereit im Auto verstaut. Etwa 30 Minuten dauert die Fahrt zum Einsatzort.
Pünktlich zur vereinbarten Zeit steht der Schütze am Treffpunkt. Ich folge seinem Wagen bis zu einer Wiese oberhalb eines Gehöftes am Waldrand. Von einem offenen Bock hat er geschossen. Er meint, er wäre nicht gut abgekommen und hat wahrscheinlich gemuckt. Die Schussentfernung betrug gut 80 Meter.
Ruhig lege ich meinen beiden Hunden das GPS Halsband und die Warnhalsung an. „Ayk“ schlüpft in sein Nachsuchengeschirr samt Schweißriemen, Loshund „Eddi“, noch in der Einarbeitung, geht an der kurzen Leine.  Kurz vor dem Anschuss lege ich die Hunde ab. Ausführlich untersuche ich den  Anschuss und finde etwas Wildbrettschweiß, Unterwolle mit Hautfetzen,  etwas Feist sowie einige Federn. Zusammen mit der Schilderung des Schützen sowie den Fluchtfährten im Schnee erhärtet sich mein Verdacht, dass die Sau gekrellt sein könnte.
Auf das Kommando „Verwund danach“ nimmt „Ayk“ seine Arbeit auf. Er lässt sich noch mehr Zeit als ich am Anschuss, scheint jedes Pirschzeichen genau zu studieren. Dann hat er anscheinend genug „gesehen“ und saugt sich an der Fährte fest. Ich folge am halben Riemen. Der Schütze möchte die Nachsuche begleiten. Das freut mich, erstens hat er eine sehr gute Ortskenntnis und zweitens kann er mir als Helfer und  Loshundeführer zur Hand gehen.
Zuerst geht es zügig voran, ab und an verweist mir „Ayk“ einige Tropfen Schweiß um dann weiter der Fährte zu folgen. Schnell wird klar, dass die Sau mit der Rotte geht. Wir haben keine Einzelfährte mehr, sondern einen breiten Wechsel.
„Ayk“ verweist an einem Holunderstrauch etwas abgestriffenen Schweiß, wir sind richtig. Die Wundfährte führt uns in einen dichten Einstand aus Fichten, Birken, Ebereschen, Brombeeren und Holunder. Hier hatten die Sauen gelegen. Überall ist der Boden umgebrochen und unter den vom Schnee heruntergedrückten Fichtenästen sind die Ruhestätten der Schwarzkittel deutlich auszumachen.
„Ayk“ arbeitet sich langsam vorwärts, in einem Kessel verweist er wieder einige Tropfen Schweiß. Vor uns verlassen einige Rehe den Einstand. Mein HS hebt kurz die Nase und arbeitet unbeeindruckt weiter.
Azubi Jagdterrier „Eddi“ hingegen teilt uns lautstark mit, das hier gerade etwas zu holen gewesen wäre. 

Schweißhund „Ayk“ und Jagdterrier„Eddi“ sind ein eingespieltes Team


Es wird zäh. Ständig Wiedergänge und alle hundert Meter ein Tropfen Schweiß. „Ayk“ korrigiert sich jetzt öfter in diesem Irrgarten aus Schwarz- und Rehwildfährten. Vor mir sehe ich unsere Fußspuren und die Hundetatzen im Schnee. Hier waren wir schon mal denke ich so bei mir und wunder mich, dass  „Ayk“ so straff im Riemen hängt. Dann sehe ich in meinem Fußabdruck eine Schwarzwildfährte. Jetzt wird mir einiges klar. Die Sau drückt sich um uns herum, versucht auszuweichen.
Schnell ist „Ayk“ geschnallt. Mit lautem Hals stürmt er davon. Der Blick auf das GPS Gerät zeigt das der Hund in wenigen Sekunden bereits 140m zurückgelegt hat. Der Laut verstummt aber so plötzlich wie er eingesetzt hat. Mit dem Tracker des GPS Gerätes arbeiten wir uns Richtung Schweißhund durchs dichte Unterholz. „Ayk“ bewegt sich nicht, steht auf einer Stelle. Wieso gibt er keinen Laut? Im Dickicht öffnet sich zu allem Überfluss die Leine an Loshund Eddis Halsband und der Terrier folgt mit kreischendem Laut der Wundfährte. Mein Begleiter sagt zu mir „Wir laufen Richtung Steinbruch“. Ein mulmiges Gefühl durchfährt schlagartig meinen Körper.
Dann stehen wir vor altem, vergilbtem, durchhängendem Absperrband. „Eddi“ gibt irgendwo vor uns Laut. Das GPS Gerät zeigt „Ayk“ 15m . . . Zehn Meter vor mir ist der Steinbruch mit einer senkrechten, tiefen Steilwand. . . Mein Puls rast und trotzdem bin ich wie gelähmt. Dann sehe ich plötzlich „Eddi“, wie er aufgeregt am Felsabbruch auf und ab rennt und Laut gibt. Ich ruf „ Eddi hier“ und der junge Jagdterrier kommt brav zurück. Schnell ist er wieder angeleint. Ich drücke meinem Begleiter Eddis Leine und meine Nachsuchenwaffe in die Hand. In unseren Gesichtern ist kaum noch Farbe. Ich gehe auf die Steilwand zu, das Geschirr und der Riemen fallen aus meinen Händen. Irgendwie nehme ich alles in Zeitlupe war. Ich bange, hoffe, bete. . .  Die schlimmsten Bilder schießen durch meinen Kopf. Ich sehe die Spuren von „Ayk“ bis zur Steilwand . . . dann der Blick über die Abbruchkannte . . .

Der Steinbruch Wildenau: Absturzstelle und Rettungslinie

„Ayk!“ fährt es über meine Lippen, mein Hund klammert in etwa 15 Metern Tiefe auf einem kleinen Felsvorsprung in der Steilwand. Ich sehe die Angst in seinen Augen. Er krallt sich in den Felsen. Hinter Ihm geht es senkrecht hinunter. Ich muss zu Ihm runterklettern. Auf Hilfe warten scheidet aus.  „Ayk“ will zu mir hoch aber er schafft es nicht, er rutscht immer wieder abwärts. Es ist nur eine Frage der Zeit bis er ganz abstürzt. Wir bräuchten ein langes Seil oder eine Strickleiter. Natürlich haben wir nichts davon, aber wir haben den Schweißriemen und das Geschirr.
Schnell ist der Riemen um eine kleine Kiefer geknotet. Die Pfahlwurzel der Kiefer hält hoffentlich in dem verwitterten Gestein. Eine kleine Birke nutzen wir als Umlenkrolle für den Riemen. Das andere Ende des Riemens verknote ich mit meinem Gürtel und wickele es um mein Handgelenk. Jetzt kann ich nur hoffen, dass der Hersteller Qualität geliefert hat. Mein Helfer lässt mich vorsichtig abwärts. Nach wenigen Metern merke ich, dass sich durch mein Klettern Steine lösen und meinen Hund unterhalb treffen. „Ayk“ sitzt mit angelegten Behängen und eingekniffenem Schwanz noch etwa 10 Meter unter mir. So geht es nicht, wir müssen abbrechen. Aber die Kletterpartie war nicht umsonst. Von meiner Position aus konnte ich erkennen, das der Vorsprung eine nahezu umlaufende Kannte im Gestein ist (siehe Foto), die durch die Sprengung und den Gesteinsabbau entstanden ist. Es müsste also gehen den rund 10 Hektar großen Steinbruch zu umrunden und an einer geeigneten Stelle bis zur Kannte vorzudringen. Der Schütze blieb mit dem Terrier oberhalb der Absturzstelle stehen, um „Ayk“ das Gefühl zu geben, dass er nicht alleine ist. Im Laufschritt ging es für mich über Felsen, Granitblöcke, Haufwerk und Schotter bis zur besagten Felskannte im Gestein der Steilwand. Dort angekommen kletterte ich dem Hund entgegen. Laut ruf ich seinen Namen und gestikulierte wie wild mit den Armen. Uns trennten noch etwa 100 Meter. „Ayk“ beobachtete mich aus der Ferne und  schien meinen Plan zu begreifen. Langsam kam er mir entgegen, ganz vorsichtig balancierte er über das lockere Gestein in meine Richtung. Das sieht gut aus. Nur noch etwa 20 Meter trennen uns.
Die Freude ist unbeschreiblich als wir uns endlich wieder gegenüber stehen! Ich knie mich hin und „Ayk“ knabbert an meinem Ohr und leckt mir voller Wonne über mein Gesicht.
Mein Helfer winkt mir von oben erleichtert zu. Durch den Steinbruch, vorbei an Schotterbergen und Werksteinen laufen wir Ihm entgegen.
Wir treffen uns an der Eisenschranke am unteren Ende des Steinbruches. Ich nehme den Schweißhund wieder an den Riemen denn ich möchte noch einmal hoch zur Absturzstelle. Ich muss wissen was passiert ist. Etwa eine Stunde hat die Rettungsaktion an der Steilwand gedauert.


Steinbruch Wildenau: Riemenarbeit und Hetze um den Steinbruch

Oben angekommen bewindet „Ayk“ sofort wieder ausgiebig den Bereich vor dem Abbruch. Er arbeitet parallel zur Steilwand. Nach ein paar Riemenlängen verweist er mir wenige Tropfen Schweiß . . . Er war richtig, nur hatte die Sau vor der Steilwand einen rechtwinkligen Haken geschlagen, den er durch seinen Geschwindigkeitsüberschuss und durch den vereisten Boden überschoss und hinab stürzte.
Ein bis zwei Meter neben der steilen Felswand arbeitet „Ayk“ die Wundfährte als sei nichts gewesen. Mein Helfer folgt uns kopfschüttelnd mit meinem Azubi Jagdterrier „Eddi“. Die Fährte führt uns um den gesamten Steinbruch. Die Sau schweißt durch die Bewegung kurzzeitig etwas mehr. Über einen aufgeschütteten Wall geht es in einen angrenzenden Fichtenbestand mit reichlich übermannshoher Naturverjüngung.
Schwarzwildwechsel und Verleitungen von Rehwild prägen die Fährte auf den folgenden 500 Metern. Ich vertraue dem Hund in diesem Bereich blind, denn es ist für mich unmöglich die Fährte der kranken Sau, auf allen vieren kriechend mit vereister und angelaufener Brille zu kontrollieren. Der da vorne am Riemen ist sich seiner Sache aber anscheinend ziemlich sicher. Wie auf Schienen zieht er seine Bahn durch den Naturverjüngungsbestand.
In einem angrenzenden Baumholz wird die Fährte einer einzeln gehenden Sau auch für mich langsam (wir erinnern uns, die angelaufene Brille) wieder sichtbar. Ob wir richtig sind? Ich finde keine Bestätigung mehr. „Ayk“ überzeugt mich aber glatt, denn er gibt mächtig Gas, will die Sache anscheinend zu Ende bringen. Fast im Laufschritt durchqueren wir ein Fichtenbaumholz. Mein Begleiter ruft mir zu, dass jetzt der letzte Einstand kommen würde, dann folgt die Flur oder es geht wieder auf die andere Seite des Steinbruches zurück.
In der jungen Fichtendickung sind anscheinend mehrere Sauen zu Hause. Die Wechsel sind gut angenommen. „Ayk“ nimmt Geschwindigkeit raus und buchstabiert sich Meter für Meter vorwärts.
Dann plötzlich bricht etwas vor uns. Sofort ist Zug auf dem Riemen. Die kranke Sau! Blitzschnell sind beide Hunde geschnallt. Der kreischende Laut des Jagdterriers „Eddi“ wird vom heftigen Sichtlaut des Schweißhundes übertönt. Die Sau ist noch gut auf den Läufen und schnell. Trotzdem schafft es der hochläufige „Ayk“ recht schnell den Frischling einzuholen. Sein dumpfer Standlaut hallt durch den Wald und beschert mir wie so oft Gänsehaut.
Das Garmin Astro GPS Gerät zeigt noch rund 500m Entfernung bis zum Schweißhund. Der junge Terrier hat die Sau noch nicht erreicht, ist aber allemal schneller als ich. Ich kämpf mich durch Schnee und Unterwuchs, dann erblicke ich endlich in der Ferne zwischen den Bäumen die Hunde, die um die den kranken Frischling tänzeln.


GPS Ortung: Absturzstelle und Rettung  in  Kartenansicht

Die Sau wird von beiden Hunden hartnäckig gestellt. „Ayk“ tänzelt erst um das Schwein um es dann von hinten am Rücken zu packen und zu Boden zu ziehen. Eddi hat zusätzlich am Teller zugefasst und schüttelt. An Schießen ist nicht zu denken.


Die zwei Hunde stellen die kranke Sau . . .


 . . . und binden den Frischling bis ich ihn abfangen kann

Mit der blanken Waffe fange ich das Stück ab und lass mich erschöpft aber überglücklich auf einem Baumstumpf nieder.
Die Hunde dürfen natürlich nach der langen (GPS Auswertung: 5,59 km)und schwierigen Arbeit das Schwein jetzt ausgiebig in Besitz nehmen.
Mein Begleiter ist noch sichtlich gerührt, als der telefonisch benachrichtigte Mitpächter bei uns eintrifft.
Die Hunde zeigen uns stolz was Sie erbeutet haben. Zusammen brechen wir das Stück auf und bergen es. „Ayk“ lässt es dabei nicht mehr aus den Augen.


Alles wie vor dem Absturz: HS „Ayk v. Gamsfleck“ und sein DJT-Bodyguard „Eddi v. Plohnbach“ nach erfolgreicher Hetze


Als ich anschließend im Pickup heimwärts fahre spielt sich das ganze Szenario noch einmal in meinem Kopf ab und mir wird schlagartig bewusst, wie viel „Schwein“ wir heute wirklich hatten …


Dirk Schönfelder
Nachsuchenstation Vogtland





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